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Emotionen, Inspiration und Kulturgut: Brettspiele boomen

23.10.2025, 10:10

Ein Großteil der Menschen in Deutschland tut es - und immer sind Emotionen dabei. Gesellschaftsspiele mit Würfeln, Karten oder Spielfiguren sind auch im digitalen Zeitalter laut Branche stark gefragt. Knapp 70 Prozent spielen einmal oder mehrmals im Monat zusammen, wie nun eine Umfrage des Marktforschungsinstituts Appinio zum Start der «Spiel Essen 2025» - der weltgrößten Publikumsmesse für Brettspiele - ergeben hat. 

Deutschland gilt Experten zufolge als absolutes Spieleland. Das gemeinsame Spielen habe eine lange Tradition und sei in der Gesellschaft fest verankert. Und der Markt wächst. Jedes Jahr kommen rund 1.000 neue Titel raus. Die Gruppe Spiele und Puzzles wächst innerhalb des gesamten Spielwarenmarkts deutlich überproportional, wie der Verband der Spielwarenindustrie für 2025 bis Mitte September meldete. 

Warum kommen viele Menschen gerne am Spieltisch zusammen?

Spielen schaffe Verbindung und Gemeinschaft und fördere die emotionale Intelligenz, betont Carol Rapp vom Merz Verlag, der die «Spiel Essen» ausrichtet. Der Verlag hatte die Umfrage zur Nutzung von Gesellschaftsspielen beim Marktforscher Appinio beauftragt - 1.000 Menschen zwischen 16 und 65 Jahren seien dazu online Anfang Oktober repräsentativ befragt worden. 

«Analoge Spiele erfüllen weit mehr als nur eine Unterhaltungsfunktion», sagt der Soziologe Johannes Blumenberg. «Das Bedürfnis zu Spielen ist uns in die Wiege gelegt», meint der Spielkritiker und augenzwinkernd selbst ernannte Minister für Brettspielspaß. «Am Spieltisch begegnen wir uns auf Augenhöhe - unabhängig von Alter, Geschlecht, von Herkunft, politischer Meinung, sexueller Orientierung oder körperlichen Einschränkungen.» 

Spielen schafft soziale Nähe und ermöglicht soziales Üben 

In analogen Spielen lassen sich Rollen erproben, es wird zwischen Kooperation und Konkurrenz jongliert, man muss Regeln beachten. Soziale Nähe, physische Gemeinschaft gehören dazu. «Dieses unmittelbare, leibliche Erleben lässt sich durch digitale Medien kaum ersetzen», beobachtet Blumenberg. Und: «Gesellschaftsspiele sind hier fest im Familienalltag verankert.» 

Ein Blick auf über 1.700 Neuheiten und wachsende Vielfalt

Die neuen Spiele, die rund 950 Anbieter aus 50 Ländern in Essen präsentieren, belegen die wachsende Vielfalt. Beim Strategiespiel «Waldland» gilt es, ein gesundes Ökosystem zu errichten. Spielfans können ins alte Ägypten oder chinesische Kaiserreich abtauchen, ebenso in die Zukunft reisen, um dort die Welt zu retten. Man kann gegen Drachen kämpfen, in der Tiefsee forschen oder auf den Spuren der Physikerin Marie Curie von 1867 bis 1934 wandeln. 

«Man kann zu jedem Thema ein Spiel machen. Alle Themen, egal wie sperrig, schwierig oder komplex, lassen sich im Spiel abbilden», erläutert Spiele-Entwickler Michael Geithner. Das Escape-Room-Spiel «Rätselträume» seiner Firma Playing History sensibilisiert für Themen wie Toleranz, Respekt, Vielfalt und Migration - und wird im deutschsprachigen Raum bereits in vielen Schulen eingesetzt, wie er berichtet. Bei ganz schwierigen Themen wie Militarisierung, Diskriminierung oder politischem Rechtsruck «geht noch mehr», meint Geithner.

Das analoge Spiel sei in Deutschland tief verwurzelt, historisch und gesellschaftlich. «Brett- und Kartenspiele gehören zur Identität», unterstreicht Geithner. Und: «Während die digitale Games Branche hierzulande sich müht aufzuleveln, wird im analogen Bereich seit vielen Jahrzehnten ein Erfolg nach dem anderen gefeiert.»

Organe vom Schwarzmarkt und schwarzer Humor 

Den wichtigen deutschen Spielemarkt hat auch der schwedische Spieleautor Mikael Rosenquist fest im Blick. In seinem englischsprachigen Spiel «Black Market» geht es um Organkäufe auf dem Schwarzmarkt, um Profitmachen oder Paktieren mit anderen und um große Emotionen, wie der vermeintliche Chirurg im OP-Outfit schildert. Das Spiel will er 2026 in Deutsch herausbringen. «Ein ernstes Thema und schwarzer Humor - das könnte eine Chance in Deutschland haben», glaubt Rosenquist. 

Analoge Spiele sind eine «Inspirationsquelle», beschreibt Pädagogin und Spielautorin Anja Wrede. Es werde nicht nur im privaten Umfeld gespielt, sondern auch an vielen andern Orten wie in Spielecafés oder im Ganztagsschulbereich. Spiele, die Menschen analog miteinander interagieren lassen, erlebten einen Boom. «Gerade auch in den Diskussionen um die Einsamkeit und das schwindende Verständnis für einander können Spiele eine gute Methode sein, um sich zu begegnen.» 

Spiele sollten als Kulturgut wertgeschätzt werden, sagt Wrede. «Spiele haben eine lange Geschichte und spiegeln immer auch die Zeit wider, in der sie entstanden sind.» Es scheint mittlerweile eine Art Luxusproblem zu geben: Das Angebot für viele unterschiedliche Zielgruppen sei so enorm gewachsen, dass es eine Herausforderung bedeute, überhaupt noch das Passende zu finden.

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