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Kiews Drohnenangriffe: Rätseln über Gegenschlag des Kremls
Seit mehr als drei Jahren läuft die russische Invasion in die Ukraine. Russland setzt als militärisch und wirtschaftlich potentere Macht mit einem tiefen Hinterland auf einen Abnutzungskrieg - und wurde unlängst von einem Überraschungsangriff auf Militärflugplätze in der Tiefe seines Landes böse erwischt. Nun gab es eine erste militärische Reaktion aus Moskau. Hier die wichtigsten Fragen und Antworten:
Was ist in der Nacht passiert?
Russland hat die Ukraine mit einem großen kombinierten Angriff aus Drohnen, Marschflugkörpern und ballistischen Raketen überzogen. Die Anzahl der von Russland eingesetzten Drohnen ist dabei nach ukrainischen Angaben mit 407 die größte seit Kriegsbeginn in einer Nacht. Mit 40 ballistischen Raketen und Marschflugkörpern hat Russland aber auch schwere Waffen aufgefahren. Getroffen wurden die Hauptstadt Kiew und die Großstädte Ternopol und Luzk im Westen der Ukraine. Neben vier Toten gibt es auch etwa 50 Verletzte.
Was ist der Hintergrund?
Der Beschuss ukrainischer Städte durch Russland ist Alltag. Allerdings hat in diesem Fall eine Attacke Kiews die Führung in Moskau besonders erzürnt. Die Ukraine attackierte am Wochenende mehrere russische Militärflugplätze weit entfernt von der Grenze und zerstörte dabei auch eine Reihe von Mittel- und Langstreckenbombern der Typen Tu-22 und Tu-95. Diese gehören zur strategischen Bomberflotte, die auch Atomraketen verschießen kann.
Es war ein schwerer Schlag für die Kampfkraft, aber auch das Image der Nuklearmacht Russland. Der Kreml kündigte eine militärische Antwort an.
War dies schon der angekündigte Gegenschlag?
Ob der Großangriff die angedrohte Reaktion sein sollte, bleibt weiter unklar. Moskaus Verteidigungsministerium sprach «von einer Antwort auf terroristische Akte». Kremlsprecher Dmitri Peskow blieb ebenfalls vage: Alles, was die russischen Streitkräfte täten, sei eine Reaktion auf Handlungen der Regierung in Kiew, die zunehmend terroristisch agiere, sagte er.
Öffentlich als Terror gegeißelt hatte Kremlchef Wladimir Putin zuvor die Anschläge auf russische Bahnanlagen in Grenznähe - zu denen hat sich Kiew allerdings nicht bekannt. Klar ist: Die Attacke auf die gesamte Ukraine belegt, dass Russland trotz Verlusten unverändert zu kombinierten Luftangriffen in der Lage ist.
Welche Optionen hat Russland für solch einen Gegenschlag?
Die Palette an Auswahlmöglichkeiten für Russland ist groß. Im November 2024 hatte der Kreml nach dem Einsatz weitreichender westlicher Raketen gegen russisches Territorium die Ukraine mit einer Mittelstreckenrakete vom Typ Oreschnik beschossen. Das prinzipiell auch atomwaffenfähige Geschoss schlug damals mit konventionellen Sprengköpfen bestückt in einem Rüstungsbetrieb der Industriestadt Dnipro ein.
Solche Ziele könnten auch ins Visier neuer russischer Attacken geraten - egal ob mit Oreschnik oder einem anderen großangelegten Raketen- und Marschflugkörperangriff. Allerdings ist die Rüstungsindustrie der Ukraine dezentralisiert. Auch Wasser- und Kohlekraftwerke sind als Ziele denkbar. Ein Schlag gegen das Regierungsviertel in Kiew hingegen gilt als unwahrscheinlich, weil dort auch die chinesische Botschaft steht.
Könnte Russland auch nuklear antworten?
Die hurra-patriotische Szene rund um die russischen Militärblogger hat dies zwar umgehend nach dem Angriff auf die Bomberflotte gefordert. Trotzdem gilt das Szenario als unwahrscheinlich. Es würde eine unverhältnismäßig starke Eskalation bedeuten und wohl auch die Abkehr enger russischer Verbündeter wie China oder Indien nach sich ziehen. Zudem ist die Frage, wie die Nato auf eine solche Grenzüberschreitung in ihrer Nachbarschaft reagieren würde.
Wie ist aktuell die militärische Lage am Boden?
Entlang der über 1.000 Kilometer langen Front stehen die ukrainischen Truppen an vielen Abschnitten unter Druck. In den vergangenen Wochen gingen mehr als 20 Ortschaften in den Gebieten Donezk, Sumy und Charkiw verloren. Der im vergangenen August in einer Blitzaktion eroberte Brückenkopf im russischen Grenzgebiet Kursk musste nahezu vollständig aufgegeben werden.
Ausschlaggebend für das russische Vorrücken ist nach Aussagen ukrainischer Beobachter nicht mehr allein die russische Überlegenheit beim Einsatz von Gleitbomben oder Artillerie. Russland scheint den anfänglichen Rückstand beim frontnahen Einsatz ferngesteuerter Drohnen mehr als wettgemacht zu haben. Den ukrainischen Truppen machen Kampfdrohnen zu schaffen, die mit Glasfaserkabeln gesteuert werden. Sie fliegen bereits mehr als 20 Kilometer tief ins ukrainische Hinterland und stören dort die Logistik empfindlich. Hinzu kommt das Fehlen von ukrainischen Reserven gerade in der Infanterie.
Wo ist die Gefahr russischer Vorstöße besonders groß?
Priorität für Moskau hat derzeit das Gebiet Sumy im Nordosten der Ukraine. Die russische Armee will eine Pufferzone entlang der Grenze schaffen. Seit März wurden nach inoffiziellen ukrainischen Angaben über 150 Quadratkilometer von den Russen erobert. Die Frontlinie ist nur noch etwa 20 Kilometer von der Gebietshauptstadt Sumy entfernt, wodurch sie immer öfter in das Visier russischer Angriffe gerät.
Auch im ostukrainischen Gebiet Donezk rücken russische Einheiten wieder schneller vor. Zwar sind die Städte Pokrowsk und Kostjantyniwka und in Teilen noch Tschassiw Jar und Torezk weiter unter ukrainischer Kontrolle, doch deutet viel auf eine Lageverschlechterung für die Ukrainer hin. Bei einem Munitionsmangel, falls westliche Lieferungen nachlassen, droht das Ballungsgebiet um die Städte Druschkiwka und Kostjantyniwka noch vor Ende des Sommers in russische Hand zu fallen. Die vollständige Eroberung des Gebietes Donezk könnte für Moskau wieder realistischer werden.
Bedeutet dies ein Scheitern der US-Verhandlungsinitiative?
Nach Angaben Moskaus soll weiter verhandelt werden. Allerdings hat die Initiative von US-Präsident Donald Trump bislang nicht wirklich Schub bekommen. Dessen Vorschlag für einen bedingungslosen Waffenstillstand hat Putin weggewischt. Zwar reden Kiew und Moskau erstmals seit drei Jahren wieder direkt miteinander, doch die bisherigen Ergebnisse sind mau.
Vereinbart wurden große Gefangenenaustausche - das war genau das Gebiet, auf dem die beiden Kriegsparteien auch vorher mehrmals Einigungen erzielt haben. Bei der grundsätzlichen Frage nach einem Ende des Kriegs liegen die Positionen aber immer noch weit voneinander entfernt. Von seinen Maximalforderungen, die einer Kapitulation der Ukraine nahekommen, ist Moskau nicht abgerückt.